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Wanderboje am Mauerstreifen, Berlin 2009

Zwischen dem 13. August (Tag des Mauerbaus) und dem 9. November (Mauerfall) umrundete die Wanderboje Berlin. Die Wanderboje machte überall dort Station, wo wir private Geschichten mit der Berliner Mauer fanden.
Sie können auf die einzelnen Geschichten über die Orte des Geschehens oder die Liste der Geschichten zugreifen, zusätzlich können sie sich Bilder des Events ansehen

Unglück im Glück

„Es war am 10.November 1989. Die Nacht der Grenzöffnung war vorbei. Von den Welt bewegenden Ereignissen merkten wir am Bethaniendamm noch wenig. Wir hatten an diesem Donnerstag Abend eine Gemeindekirchenratssitzung, erhielten die Info „In den Nachrichten habe man gemeldet, dass der Übergang Bornholmer Straße geöffnet sei“ und hakten unsere Tagesordnung weiter ab. Als ich am nächsten Morgen zum Gemeindezentrum fuhr, sah schon alles ganz anders aus. Viele Menschen unterwegs, einziges Gesprächsthema „Maueröffnung“, doch noch konnte man an diesem Morgen mit der U-Bahn zwischen Möckernbrücke und Görlitzer Bahnhof fahren; die Züge waren noch nicht überfüllt. Am Bethaniendamm selbst immer noch eine ruhige Mauer-Landschaft. Eben die „letzte Ecke“ von Westberlin, doch zunehmend gingen Menschen zwischen Mauer und Gemeindehaus entlang. Es mag wohl gegen 10 Uhr gewesen sein als ein Mann das Haus betrat, nach dem Pfarrer fragte und es offensichtlich war, dass er nicht mehr ganz nüchtern war. Bei viel Kaffee erzählte er dann ziemlich aufgelöst seine Geschichte: ‚Er komme vom Prenzlauer Berg. Heute morgen habe er gehört, dass die Grenze geöffnet sei. So sei er zur Oberbaumbrücke gegangen, um sich dies anzusehen. Und in der Tat: die Grenze war auch vom Osten her geöffnet. Einfach unglaublich. Er musste es sofort ausprobieren. Und mit Hunderten ist er von der Warschauer Straße über die Oberbaumbrücke gegangen. Auf der Westseite sei er von jubelnden Menschen empfangen worden. Viele Sektflaschen seien ihm entgegengehalten worden. Er konnte nicht anders: er habe mehr als eine geleert.“ Und dann kam das böse Erwachen. Er sei trockener Alkoholiker; seit Jahren habe er es endlich geschafft, ohne Alkohol zu leben. Und nun dies. Wie komme er bloß wieder zurück? Wie solle es weitergehen? Das Gespräch dauerte ziemlich lange, viel Kaffee ist dabei geflossen. Schließlich brachen wir gemeinsam auf Richtung Oberbaumbrücke. Jubelnde Menschen kamen uns entgegen, wir gingen in die andere Richtung, kämpften uns an der Oberbaumbrücke durch die jubelnde, singende, Sekt trinkende, teilweise vom Ereignis und dem Alkohol besoffene Menge, verabschiedeten uns und der Mann ging langsam, aber inzwischen doch zuversichtlich. Hunderte kamen Richtung Kreuzberg, er ging alleine in die entgegengesetzte Richtung.