Wanderboje am Mauerstreifen, Berlin 2009

In der DDR hatten wir Ruhe

Ich bin 77 Jahre alt, wurde nach der Wende mit 59 Jahren entlassen – fiel unter die Vorruhestandsregelung ab 55. Mein Sohn mit Hochschulstudium „Sozialistischer Binnenhandel“ wurde arbeitslos nach der Wende, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, heiratet nicht, könnte keine Familie ernähren. Er lebt also allein in einer 1-raumwohnung. Wird im nächsten Jahr 50 Jahre alt, keine große Zukunft mehr. Meine Tochter ist 55 Jahre alt, war verheiratet. Ihr Mann wurde arbeitslos und hat sich von der Familie getrennt. Sie musste nun ihr Haus aufgeben, weil sie es alleine nicht mehr finanzieren kann. Sie lebt jetzt bei ihrer Tochter (27 Jahre) in Spanien und macht auch nur Gelegenheitsarbeiten. Wenn meine Enkelin in ein anderes Land versetzt wird, weiss meine Tochter nicht mehr wohin. Sie hat ja kein Haus mehr. Also alle sind weg, bzw. ohne Arbeit – und ich bin allein. Was nicht so schlimm ist. Ich traue mich auch abends nicht mehr raus. Wurde schon überfallen, man wollte mir die Tasche wegnehmen. Die Kriminalität, die vielen Verbrechen, die Schmiererein an den Wänden und Scheiben. Das alles gab es in der DDR nicht. Da hatten wir Ruhe! So hatten wir uns die Wiedervereinigung nicht vorgestellt. Viele Familien sind nicht mehr, Viele Existenzen gehen kaputt. Die Jugend läuft heute oft sehr ungepflegt und schlampig herum. Das alles hat uns der Fall der Mauer gebracht! Ich bin verbittert! Heute könnte man reisen, in alle Länder, aber dazu fehlt das Geld. Nicht mal bis zur Ostsee oder sonst wo ins Binnenland kann ich fahren bei den heutigen Hotelpreisen. Bin alleinstehend und habe 36 Arbeitsjahre und eine Rente von 780€. Damit kann ich nicht viel unternehmen. Wenn ich alles bezahle bleiben mir pro Tag nur noch 9€ zum leben