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Wanderboje am Mauerstreifen, Berlin 2009

Zwischen dem 13. August (Tag des Mauerbaus) und dem 9. November (Mauerfall) umrundete die Wanderboje Berlin. Die Wanderboje machte überall dort Station, wo wir private Geschichten mit der Berliner Mauer fanden.
Sie können auf die einzelnen Geschichten über die Orte des Geschehens oder die Liste der Geschichten zugreifen, zusätzlich können sie sich Bilder des Events ansehen

Die Mauertorte

Im August 1961 wurde ich acht Jahre alt und machte mit meinen Eltern gerade Urlaub in Österreich. Als es auf einmal hieß: 'in Berlin wird eine Mauer gebaut', brachen wir den Urlaub ab und fuhren zurück in unsere Heimatstadt. Wir wohnten im Wedding, hatten aber ein Gartengrundstück in Pankow/Wilhelmsruh (seit 1909 in Familienbesitz). Dieser Ort war immer ein Treffpunkt meiner Familie an Wochenenden - vor allem im Sommer. Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, was es bedeuten würde, dass 'die Grenze dicht gemacht wird'. Als 'West-Berliner' hatten wir noch einige Tage nach dem 13. August Zeit, um 'notwendige Dinge zu regeln' - so hieß es offiziell. Also machten wir uns am 17. August - meinem Geburtstag - auf den Weg zu dem Grundstück, um alle Verwandten dort zu treffen. Denn ein Teil der Familie wohnte zu der Zeit in Ost-Berlin, ein anderer Teil in West-Berlin. Meine Mutter hatte - wie an Geburtstagen üblich - zwei Kuchen gebacken, darunter eine Buttercreme-Torte. An der Grenze (wir durften am S-Bahnhof Wilhelmsruh unter der Brücke die Grenze passieren), wurden wir streng kontrolliert. Und einer der 'VoPos' hatte nichts besseres zu tun, als eben diese Torte mit einer Art Haarnadel zu 'durchpflügen' mit der fadenscheinigen Begründung, nach 'Schmuggelgut oder Waffen' zu suchen. Ich schrie vor Wut, und meine Eltern konnten mich kaum beruhigen. Trotzdem gelang es meiner Mutter, die Torte wieder einigermaßen in Form zu bringen, und wir ließen sie uns mit den Verwandten schmecken. Leider konnten wir zu dem Zeitpunkt nicht damit rechnen, dass dies der Anfang eines jahrelangen Schnitts durch unsere Familie sein würde. Erst nach Jahren der Trennung gab es ein Wiedersehen - allerdings dann ohne Torte, um eine solche Situation nicht wieder zu erleben. Eines blieb aber bei mir seit diesem Ereignis haften: ich hatte jeglichen Respekt vor 'Grenzorganen der DDR' verloren, was mir auch immer wieder Ärger bei den weiteren (zwangsweisen) Zusammentreffen mit den 'GrePos' einbringen sollte (z.B. bei Transitstrecke oder Einreise in die 'Hauptstadt der DDR'). Erfreulich ist aber, dass es am Tage der Grenzöffnung zu keinerlei Eskalationen seiten dieser Staatsdiener kam - der Generationswechsel war somit vollzogen! Die Torte macht meine Mutter übrigens noch heute auf meinen Wunsch hin - traditionell zu jedem 17. August. Bei dieser Gelegenheit erzähle ich diese Geschichte immer wieder gern allen, die sie noch nicht kennen...