Sprache auswählen

Wanderboje am Mauerstreifen, Berlin 2009

Zwischen dem 13. August (Tag des Mauerbaus) und dem 9. November (Mauerfall) umrundete die Wanderboje Berlin. Die Wanderboje machte überall dort Station, wo wir private Geschichten mit der Berliner Mauer fanden.
Sie können auf die einzelnen Geschichten über die Orte des Geschehens oder die Liste der Geschichten zugreifen, zusätzlich können sie sich Bilder des Events ansehen

Spreeporsche

Irgendwann war das letzte Avusrennen. Da haben wir einen Porsche zurecht gemacht fürs Rennen. Der stand hinten bei uns auf dem Hof, da mussten Räder gewechselt werden, die Rennräder drauf gemacht werden, anderes Öl und noch so'n bisschen Spielerei. Vor die Vorderräder haben wir immer so einen dicken Hammer gelegt. Denn die Autos werden ja hochgehoben, wenn am Motor gearbeitet wird und da müssen dann die Räder blockiert werden, dass es nicht wegrutscht. Auf jeden Fall hatte einer den Hammer weggelegt und ein anderer das Auto runtergelassen und auf einmal sehe ich, wie der Wagen langsam Fahrt bekommt und dann sagte es PLUMS - und weg war er. Aber ich dachte, das ist kein so großes Problem, denn die Firma hatte einen großen D-Mark-Zug, mit dem wir die Materialien hochschafften. Wir wollten also einfach das Auto an den großen Haken ranmachen und an Land ziehen - aber die Jungs von der anderen Seite wollten das nicht. - Also war der Posche weg! Feierabend! Am nächsten Tag ruft mich ein Kollege von oben: "Lutze, komm mal! Die holen den Porsche raus!" Ich sage: "Watt? Da hatten sie am Tage nur so'n paar Bojen gesetzt, denn damals gab es noch richtig Schifffahrt und nachts haben sie dann den Porsche rausgezogen. Da haben sie drüben auf den anderen Seite ein Mauerteil rausgenommen, das Ding gehoben und an Land gestellt und dann war das Ding weg! So, dachte ich, da musste was tun. Damals gab es ja noch diese Karten, mit denen man mehrfach rüberfahren konnte in den Osten. Also ick nehm mir mein anderet Auto natürlich och wieder 'n Porsche und fahr da drüben zum Polizeirevier, das auf der anderen Seite der Spree gewesen war. Da liefen die dann immer mit ihren Gewehrchen 'rum und ich zu einen von den Kumpels: "Habt ihr denn nicht mal 'n Auto hier gesehen, das in die Spree gefallen ist? Das war auch so bunt angemalt, mit der ganzen Reklame und so." "Au ja", sacht er, "dit weeß ick ja." "Na und", sag ich, "wo is denn det Ding abjeblieben?" "Det weeß ick nich! Aber fahrn se mal zum Alexanderplatz, da ist die Polizei, fragense da mal nach." Also ich da hin: Das dauerte einen Weile und irgendwann kam dann einer der dafür zuständig war. Aber der sagte natürlich: "Wir? Wir haben keenen Porsche. Wenn da irgendetwas passiert ist, müssen Sie sich an Ihren Senat wenden. Da sind gerade Verhandlungen darüber, wenn Unfälle im Grenzbereich sind und dann soll der Senat das regeln." Daraufhin fahr ich zum Rathaus: "Ja da müssen wir mal gucken, mal gucken...." Ich mich wieder in mein Auto gesetzt und bin nach Karlshorst gefahren, weil mir jemand geflüstert hatte, dass wenn an der Grenze was passiert, dann sind die Russen für zuständig. Wuup da wieder anmarschiert, natürlich auch wieder mit 'nem Porsche, der eine super Nummer hatte: B-A 98! Ich bin da direkt vorgefahren, kommt auch gleich einer anmarschiert: "Was wollen Sie denn hier?" Der konnte hervorragend Deutsch und ich meinte: " Mein Auto wollte ich mir mal besichtigen hier!" "Moment, warten Sie mal." Da ist der rin, hat telefoniert und getan, war ne Weile weg. In der Zeit habe ich natürliche die Gelegenheit genutzt und mit den Genossen da bischen gequatscht, wie sich das gehört. " Mensch, das ist ja ein chickes Auto." Und ich: "Na und wo steht es denn jetzt rum?" "Ja, da hinten in dem Schuppen," und hat auch noch die Nummer gesagt. Da kommt auch schon der Vorgesetzte wieder und sagt: "Nee, nee, wir ham hier nüscht. Sie müssen sich an Ihren Senat wenden!" Also Moral von der Geschicht: Ich steig wieder in meinen Porsche ein, ich wußte ja jetzt, wo der andere war und bin einfach ringefahrn. Na, da sind die ja bald irre geworden. Das Auto stand ziemlich offen da, nur so'n Dach drüber und ich sag zu denen: "Was erzählen Sie mir denn. Hier das ist MEIN Auto. Ich seh es doch! Sie hatten mir doch gesagt, dass mein Auto nicht hier ist - und das ist offiziell eine Lüge!" Wir sind dann wieder in ein Büro rein. Ich sage: "Es gibt einen alten Spruch: in der DDR leben nur glückliche und zufriedenen Leute, die klauen keine Porsche. Ich bleibe so lange hier, bis der Fall geklärt ist! Und der Wolfgang Schöne, der ist der Reporter von der BZ und Morgenpost und wenn ich heute abend nicht nach Hause komme, dann gibt's wieder sooon langen Artikel. Das war dann die Geschichte: Später habe ich ein Schreiben von der staatlichen Versicherungsgesellschaft der DDR bekommen, dass ich 8.000 DM zahlen soll und dann kann ich mir den Wagen wieder abholen. Und das war's dann. Ich habe diese Kosten dann gezahlt, denn das Auto war mir ja mehr wert! Unser Rennteam, mit dem wir auch am Nürburgring gefahren sind, nannten wir fortan: Spreeporsche!